Schöne Ansichten: Wiesloch (4)

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Berlin: Wedding

Völklinger Hütte

"Psychiatrisches Zentrum Nordbaden", kurz PZN - das klingt nicht unbedingt nach einem Ort, den man gesehen haben muß. Es lohnt sich aber dennoch. Das PZN ist, einerseits, was schon der Name sagt. Doch andererseits handelt es sich um eine vollkommen offen bebaute, höchst malerisch gelegene Anlage von riesigen Ausmaßen, so daß den erholungssuchenden Wieslochern eigentlich nichts Besseres hätte passieren können.

Das Bild oben zeigt die von alten Kastanien gesäumte südliche Zufahrt - die ausgedehnten Wiesen sind im Winter (wenn er denn stattfindet) eine beliebte Rodelbahn.
Im Februar 2004 entwickelte sich die Kastanienallee zu einem lokalen Politikum: Unter dem Einfluß eines Baumgutachtens, das die mangelnde Stabilität zahlreicher Bäume konstatierte, wollte die PZN-Leitung nahezu den gesamten Baumbestand abholzen lassen. Massive Proteste der Bevölkerung und deutlicher Unwillen der Stadtverwaltung sorgten dafür, daß das PZN seine Pläne zurückzog.

Zunächst wurde die Allee aus versicherungsrechtlichen Überlegungen für jeglichen Verkehr gesperrt. Später ergab ein weiteres Gutachten, auf das vor allem die im Stadtparlament vertretene Fraktion Bündnis90/Die Grünen gedrängt hatte, daß eine den Baumbestand erhaltende Sanierung sehr wohl möglich war. Alsbald rückte eine darauf spezialisierte Firma an, die gezielt einzelne bruchgefährdete Äste kürzte und so die Verkehrssicherheit der Allee wiederherstellte, ohne der Allee als solcher damit den Garaus zu machen. Zusätzlich ließ das PZN inzwischen nahe dem alten Baumbestand junge Kastanien anpflanzen, sodaß die Allee auch dann gesichert sein wird, wenn die alten Bäume tatsächlich einmal weichen müssen. Für die Wieslocher Grünen bleibt die Baumrettungsaktion von 2004 indessen ein Highlight, aus dem sie dauerhaft Kapital schlagen: Im Kommunalwahlkampf 2009 gaben sie sich zuversichtlich, von jeder der 53 einst geretteten Kastanien gewählt zu werden, und das Wahlergebnis spricht dafür, daß diese Zuversicht sie nicht getrogen hat.

Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, handelt es sich bei den grundsätzlich einzeln stehenden Gebäuden der 1905 als Großherzogliche Heil- und Pflegeanstalt entstandenen Anlage um Backsteinbauten aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, eigentlich schon jenseits des Jugendstils, aber noch mit spürbaren Anklängen an diese Epoche. Besonders reizvoll sind die immer wieder auftauchenden runden Stilelemente: runde Fenster, Turmvorbauten, Dachgauben... In jedem Falle heben sich diese Gebäude wohltuend von heutigen öffentlichen Zweckbauten ab, deren geometrische Tristesse sicher weniger zur geistigen Anregung ihrer Betrachter beiträgt als die abwechslungsreiche Gestaltung der Gebäude des Wieslocher PZN.

Die locker in der Fläche verteilten Gebäude folgen einem Bauprinzip, das als "Pavillon-System" in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannt wurde und in der Krankenhaus-Architektur den bis dahin verfolgten Ansatz eines "Schloßbaus" ablöste: Das trutzige und abweisende Äußere solcher "Krankenhaus-Schlösser" wich einer offenen und einladenden Architektur. Vor allem aber profitierten die Patienten hiervon, da es durch die Verteilung des umbauten Raums auf viele Einzelgebäude einfacher wurde, alle Zimmer mit genügend Licht und frischer Luft zu versorgen, was die Gesundung der Patienten natürlich begünstigte. Hierzu trug zudem die Möglichkeit bei, durch die Zusammenfassung von Patienten mit einem bestimmten Krankheitsbild oder -schweregrad in einem gemeinsamen Gebäude nicht nur deren Therapie professioneller und konzentrierter durchzuführen, sondern auch die Belastung von weniger schwer Erkrankten zu mindern. Gleichzeitig erlaubte die dezentrale Bauweise im Falle ansteckender Infektionen eine zielgenau auf den Infektionsherd begrenzte Isolation einzelner Stationen.

Natürlich brachte dieses Bauprinzip auch ganz andere Anforderungen an das Grundstück hervor, auf dem man eine solche Anlage errichten konnte: Die verteilten Gebäude hatten einen so großen Platzbedarf, daß nicht mehr daran zu denken war, mitten in der Stadt zwischen Fabriken und Verkehrslärm zu bauen. Stattdessen bewegte man sich nun in ruhigere Randlagen. Und der Raum zwischen den Gebäuden bot sich nun geradezu dazu an, als Park gestaltet zu werden und somit zusätzlichen Nutzen für die Patienten zu stiften. Die Kehrseite all dieser positiven Effekte ist, daß die in einer so angelegten Anstalt versorgten Patienten nicht mehr nur metaphorisch, sondern ganz buchstäblich (nämlich räumlich) an den Rand der Gesellschaft gerieten. Nur dort, wo eine Stadt durch sehr starkes Bevölkerungswachstum ihre Grenzen immer mehr ausdehnte, konnte dieser Effekt wieder rückgängig gemacht und die Klinik nachträglich in den Stadtkörper reintegriert werden. Ein Beispiel für eine derartige Reintegration ist die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin-Reinickendorf.

Der größte Reiz des PZN geht in der Tat von der geradezu unglaublichen Großzügigkeit aus, mit der die Gebäude mal hier, mal dort in der 100 Hektar großen Anlage verteilt sind, zwanglos und ohne Enge, mal größer, mal kleiner, stets unter sorgfältiger Berücksichtigung der landschaftlichen Gegebenheiten - insgesamt handelt es sich um rund 75 Gebäude, zu erreichen über ein nahezu 20 Kilometer langes Wegenetz. Und irgendwann stellt man beim Spazieren durch die Grünanlagen fest, daß man sich tatsächlich in einem Park befindet - und nicht in einem Krankenhaus. Jedenfalls hat man die Freiheit, es so zu sehen.

Daß das PZN sich so problemlos in das Wieslocher Stadtleben einfügt, ist weder Zufall noch selbstverständlich. Bei einer Ansprache aus Anlaß der dritten "Infoplattform Forensik" im Juni 2007 erwähnte OB Schaidhammer, daß Wiesloch die Einrichtung bei ihrer Gründung zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht etwa erduldet, sondern sich aktiv um die Ansiedlung beworben habe, da die damaligen Stadtväter sich hiervon positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage der Stadt erhofften. Tatsächlich war das PZN lange Zeit größter Arbeitgeber in Wiesloch und steht auch heute noch an zweiter Stelle. (2008 arbeiteten hier 1070 Mitarbeiter, und ausgerechnet 2009, im Jahr der Weltwirtschaftskrise, wurden Baumaßnahmen mit dem Rekordvolumen von 27 Millionen Euro in Angriff genommen.) Vor allem aber sorgt die Tatsache, daß das Gelände frei zugänglich ist, dafür, daß man sich nicht erst dazu überwinden muß, bevor man den Spaziergang antritt.

Der "nutzlos" dargebotene freie Raum, der die Anlage des PZN kennzeichnet, ist - wie könnte es anders sein - inzwischen auch dem einen oder anderen Stadtrat ein Dorn im Auge. Die eigentlich zu erwartende Forderung, aus dem Gelände einen Parkplatz zu machen, ist zwar bisher noch nicht erhoben worden. Aber an eine "gewerbliche Nutzung der Randbereiche" wird bereits laut gedacht - McDonalds läßt grüßen.

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